Logbuch 22: Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966)


Es überlief mich heiß und kalt, als ich den letzten Abschnitt des Aufsatzes von  Günter Wirth las, den er über Friedrich Wilhelm Foerster (F. W. F.), den älteren Bruder Karl Foersters geschrieben hat.  Genau gesagt geht es um den Anhang, in dem er eine ganze Passage aus dem Buch von F. W. F. "Die jüdische Frage (Basel; Freiburg; Wien, 1959)" zitierte. Was der Vater Wilhelm Foerster 1918 in seiner Abhandlung "Die internationale Wirksamkeit des Judentums in der Vergangenheit und in der Zukunft" begonnen hatte, setzte der Sohn in seinem o. g. Buch fort. 

Auf Leben und Werk F. W. F.s will ich heute nicht näher eingehen. Ich bin noch zu sehr erschüttert von dem, was ich gelesen habe. Angesichts des neueren Vorfalls mit der Gerichtsverhandlung im Münchner Oberlandsgericht, den ich beunruhigend finde, will ich hier die o. g. Zitat in voller Länge bringen. Jeglicher Kommentar erübrigt sich;


Ein bedeutsames Dokument, das F. W. F. in seinem 1959 bei Herder in Freiburg i. Br. erschienenen Buch »Die jüdische Frage« mitgeteilt hat, soll auch hier seinen Platz finden. Es steht dies unter der Überschrift »Ein einzig dastehendes deutsches Judenmassaker in Russland«.
Von einem österreichischen Offizier, der beide Weltkriege mitgemacht hat und stets ein unerschütterlicher Bekenner meiner ethisch-politischen Prinzipien gewesen ist, Hanns H. Pilz, Linz (Donau), erhielt ich den folgenden Bericht über die unerhörten Schlächtereien, denen mehr als 100 000 Juden zum Opfer fielen, und zwar in der russischen Stadt Rowno. Die betreffenden Erinnerungen haben siebzehn Jahre lang in seinem Gewissen gewühlt, bis er endlich beschloss, sich von jenem moralischen Alpdruck dadurch zu befreien, dass er sie mir in einem langen Bericht mitteilte. Es heißt darin:
   »Mit den Meldungen über die Lage in Kiew kam an uns auch ein Privatbrief, in dem uns ein Quartiermeister unseres Regiments ver- WIRTH Friedrich Wilhelm Foerster traulich mitteilte, dass 96 000 Juden der hungernden und verlotterten Stadt von SD und Sonderpolizei erschossen und die Leichenmassen durch Geländesprengungen überdeckt worden seien.«
   Was meinen Berichterstatter in ganz besonderer Weise erschüttert hat, passierte in dem russischen Städtchen Rowno, wo der Besuch des Gauleiters von Ostpreußen, Erich Koch, erwartet wurde (November 1941), wobei angedeutet wurde, dass der Betreffende erst kommen werde, wenn die mehr als 15 000 dort ansässigen Juden vernichtet worden seien.
   »Man begann daher sofort mit den Maßnahmen gegen die Juden. Am 5. November wurde bekanntgegeben, daß alle Juden der Stadt am frühen Morgen des nächsten Tages sich an einem bestimmten Platz außerhalb des Ortes zu versammeln hätten. Männer, Frauen, Kinder, Greise und Kranke zogen bei Morgengrauen zu dem bekanntgegebenen Platz, eskortiert von Sonderpolizei und der ukrainischen Freiwilligenmiliz. Mehr als 15 000 Opfer eines Schicksals, das schon durch die Mitfahrt eines Munitionswagens vorgezeichnet war, marschierten zu einer Mulde im freien Gelände, nördlich der Rollbahn Rowno – Kiew, wo sie ›auf weitere Weisungen‹ zu warten hatten. Bewaffnetes Militär zog dann um sie einen sperrenden Ring, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Als an den Massengräbern das Schießverfahren mit Maschinenpistolen begann, wußten alle, daß für sie die Todesfalle geschlossen war. Unter unbeschreiblichem Wehklagen der Opfer liefen die Erschießungen unaufhörlich den ganzen Tag. Während des Tages wurden noch die Nachzügler sowie aus Verstecken aufgestöberte Juden an die Stätte des Grauens gebracht, die dann einzeln durch Genickschuß getötet wurden. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß vereinzelt beherzte Leute im Wehrmachtsdienst, erschüttert durch das Geschehene, Rettungsversuche für einzelne Juden unternahmen und sie aus der Stadt zu schmuggeln versuchten. Die fast durchwegs jungen Angehörigen der Sonderpolizei, der das blutige Handwerk der Judenerschießungen oblag, waren auf dem Wege über die SS-Standarte Ostland für dieses von Unmenschlichkeit gezeichnete Metier geschult und vorbereitet worden.
   Einig im Bewußtsein, daß wir das Schauderhafteste unseres ganzen Lebens gesehen hatten, verheizten wir an diesem Abend fast alle Bücher, die wir mitgenommen hatten, sogar die Werke Goethes, weil uns das ganze Menschheitsgerede von Kultur wie eine infame Lüge vorkam, und wir gelobten uns, nach Kriegsende franziskanisch zu leben und Apostel der Menschlichkeit zu werden, sonst nichts!
   Ein entscheidender Grund für das ganze obige Bekenntnis war wohl der Umstand, daß ich mich an die Worte erinnerte, die Sie sehr geehrter Herr Professor Foerster, in einem am Ende des ersten Weltkrieges erschienenen Buche nicht nur Ihren Landsleuten, sondern allen Kriegführenden zuriefen: 
  ›Ein dauernder Völkerfriede setzt voraus, daß die Zähmung der Naturgewalten im menschlichen Innern mit ganz anderem Ernst in Angriff genommen wird als bisher und daß man endlich begreift, daß eine menschliche Kultur auf Technik und egoistischem Interessenstreit allein nicht erstehen kann, daß vielmehr höhere Seelen-  Friedrich Wilhelm Foerster kräfte gerufen werden müssen, wenn nicht von Zeit zu Zeit der Geist wütender Zerstörung alles dem Erdboden gleichmachen soll.‹
   Diese Worte verwehten, gleich den Worten vieler Rufer in der Wüste, im Wind. Sieger und Besiegte von 1918 gingen andere Wege. Was dann kam, haben wir selbst erlebt: eine von Haß und Gewalt zerrissene Menschheit, in der schließlich das Grauen zu triumphieren begann.«
    Unserem Kapitel über das jüdische Mysterium inmitten der christlichen Welt konnte wohl kein besserer Abschluß gegeben werden als der vorstehende erschütternde Bericht. Dieser Bericht zeigt unverkennbar, wie sich die kalte und fast mechanische Grausamkeit in der Massenvernichtung jüdischen Lebens während der ganzen von den Nazis beherrschten Epoche immer mehr gesteigert hat und wie wehrlos selbst edelgeartete Menschen dem kategorischen Imperativ all dieser großangelegten Verbrechen gegenüberstanden.
   Wann wird endlich in der Christenheit eine die weitesten Kreise ergreifende Scham über alle diese Schandtaten zum Durchbruch kommen? Unsere Berichte werden nicht umsonst geschrieben sein, wenn sie den Anstoß zu einem solchen Durchbruch geben würden!

 Aus: Günter Wirth. "Friedrich Wilhelm Foerster", in: UTOPIE kreativ, H. 102 (April) 1999, S. 16-18)


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