Logbuch 11: "Die blaue Stunde"


Ich stehe mit einer Freundin in Seoul an einer roten Ampel. Wir warten. Da zupft mir die Freundin, Dichterin und Professorin der koreanischen Literatur, an meinem Ärmel und sagt, "Komm, wir haben blau. Lass uns überqueren." Nein, das war kein Versprechen. Die grüne Ampel in Korea ist auch grün wie sonst überall auf der Welt. Koreaner sagen halt blau dazu, angefangen vom Verkehrsminister bis kleinste Grundschulkinder. Die Lehrer sagen seelenruhig zu den Kindern, "Ihr lieben Kinder, ihr müsst immer brav bei blau über die Strasse gehen, verstanden?". Die Kinder sagen, "Ja, Frau Leherin, Ja, Herr Lehrer. Wir haben verstanden." Ob es eine grün-blau Farbblindheit gibt, und alle Koreaner davon befallen sind? So ist es nicht. Bei anderen Gegenständen wird die Farbe korrekt unterschieden. Keiner nennt ein grünes Auto blau. Bei Natur- und Landschaftsbeschreibung einschließlich Lichterscheinungen aber gehen blau und grün ineinander über. Landschaftliches bzw. das in Natur vorkommendes Grün wird als Blau wahrgenommen, und findet als solche den Ausdruck, als würde der Himmel, der in Korea 360 Tage lang blau ist, immer mit schwingt. Daran sind alte Dichter und Maler verantwortlich. Und auch die Chinesen mit ihrer Zeichenschrift. Koreaner haben bis Mitte des 15. Jhs. die chinesischen Schriftzeichen benutzt. Dann wurde das koreanische Alphabet eingeführt. Die Bildungssprache blieb aber bis Anfang des 20 Jahrhunderts Chinesisch. Also Dichter dichteten in Chinesisch. Da Dichter in der Regel auch zeichneten, bzw. Maler dichteten, - es gab da auch keine strenge Grenze -, malten sie mit Vorlieb das Blau der fernen Berge in zartem dunkelblau, blaugrün, grau-blau-grün. 

Es gibt ein chinesisches Zeichen dazu. So sieht es aus (siehe unten) und bedeutet blau und grün zugleich, zumindest in Madarin (Hochchinesisch).;
 "靑" 
Dieses Zeichen ist wiederum aus zwei Einzel-Zeichen zusammengesetzt; Das eine ist "生" und bedeutet "das Leben" oder "Geburt", und das andere ist "丹" und bedeutet "die rote Erde" oder "das Rot (der Erde)". Also Blau ist die Farbe des Lebens, das die rote Erde 'gebärt'. Schön, oder? Man denkt aber, das ist normalerweise Grün, was die Erde gebärt. Also Blau ist Grün. Wir sagen blaue Wiese, blaue Blätter, blaues Gras, usw., usf. 'Des Sommers Blau' bedeutet, dass die Welt voll von Sattgrün ist. Es gibt natürlich ein Wort für das Grün, das aber nur verwendet, um gegenständlich-unnatürliches zu bezeichnen. Grünes Auto, grünes Kleid, grüne Partei, Ökologische Bewegung etc. 

Die Hälfte des Apfels, den die böse Königin dem Schneewittchen andreht, wurde seiner Zeit als "die blaue Hälfte" übersetzt. Wir als Kinder hatten aber wohl verstanden, dass diese gute Hälfte des Apfels grün war. Wir sprachen aber von der blauen Hälfte. Es gibt ein koreanisches Märchen über einen "Blauen Frosch", der natürlich grün ist. Man  kann unendlich so weiter machen. 

Unten habe ich einige Beispiele aus der koreanischen Landschaftsmalerei abgebildet.

Se.-Hwang Kang malte dieses Bild im 18. Jh.  Die ferne Berge sind im typischen Blau dargestellt.

Seon Jung malte dieses Bild um 1744 auf Seide. Da schimmert dieses Blaugrün durch, was Koreaner unter Blau verstehen.

Der Zeitgenössische Künstler No-Su Park malte dieses Bild "Berge" irgendwann in den 1960er Jahren. Er gibt aber die genaue Entstehungszeit seiner Bilder nie an. Die Berge haben hier noch das traditionelle Blau. © Park No-Su Museum

Nochmal No-Su Park, Berge. Er revolutionierte das Blau in 'Ritterspornblau' Karl Foersters. Ob sie sich kannten? Es ist nicht so, dass es früher kein blaues Farbpigment gab. Es gibt auch Bilder, auf denen reines Indigoblau zu sehen war, wenn auch selten. Aber die Landschaften hat man früher konsequent im ätherischen grau-blau-grün Schimmer gemalt.  © Park No-Su Museum


Noch ein zeitgenössisches Bild von der Malerin Shin-Ho Lee, 1994. Sie malte die 'blauen Klänge' der Berge. (Ausschnitt). Mein Lieblingsbild. Das Blau hier erinnert ein Wenig an Ritterspornblau "Berghimmel" oder "Gletscherwasser".



Nun, ich stelle mir all diese Überlegungen deshalb an, weil ich den Titel des berühmten Aufsatzes "Die blaue Stunde" übersetzen muss. Ja, der Titel soll auch übersetzt sein. 
Bei dem Aufsatz geht es um Rittersporne, und um die hundert verschiedenen Farben Blau. Wenn ich den Titel "Die blaue Stunde" 1:1 übersetze, wird die Stunde blau-grau-grün, so weit ist klar. Und das wollen wir ja nicht, wie schön die fernen Berge auch sein mögen. Zum Glück gibt es aber einige differenzierte Farbbezeichnungen im koreanischen Wortschatz, die dem Ritterspornblau entsprechen könnten. Lila, Enzian, Türkis, Indigoblau, Himmelblau etc. 

Nur der Sammelbegriff "Blau" kann ich nicht anwenden. Am besten wähle ich eine der konkreten Farben aus. Ich tendiere zu Indigoblau. Es gibt zwei schön klingenden koreanischen Wörter dazu. Lila geht auch. Es klingt moderner, während sich Indigoblau ein Wenig altmodisch anfühlt. Modern ist gut. Beim Rittersporn geht es auch um den Fortschrittsgedanken.

Ich weiß, die "Blaue Stunde" ist eine Anlehnung an die "Blaue Blume" von Novalis. Bei ihm soll es um Heliotrop gehandelt haben. Später, als die Blaue Blume zum Symbol der Romantik wurde, habe man dann das Kornblumen-Blau, oder das Wegwarten-Blau genommen, lese ich.

"Schon die Jahresleistung solcher Blütenstauden, die sich alljährlich reicher aus dem Boden emporbaut, wie das Geweih aus dem Haupt der Hirsches, deucht uns oft Lebensleistung genug." schreibt Karl Foerster in seiner "Blauen Stunde" 1917. Wie recht er hat.

Ein Jammer, dass das Blau, das 'die rote Erde gebärt', nicht den gleichen Farbton hat, wie die Blütenstaude, die sich "aus dem Boden emporbaut".


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